Pfarrer und Gemeinderat

Da haben wir uns zu „DDR-Zeiten“ nach Demokratie gesehnt und echter Mitbestimmung, schauten stolz auf die demokratischen Gremien  unserer damaligen Landeskirche in der Kirchenprovinz Sachsen. Dann 1989 gelang die „friedliche Revolution“ und alles war gut, oder doch nicht? Barleben hat  jedenfalls nach der „Wende“ auch schon Stürze und Umstürze erlebt, Machtkämpfe und Demokratie.

Seit der letzen Wahl beobachte ich nun nicht mehr nur kritisch, sondern trage Verantwortung im Gemeinderat Barleben und das für alle drei Dörfer, die mir ans Herz gewachsen sind. Ich dachte, ich kenne mich aus in den Spielregeln der Demokratie, in den Satzungen und Ordnungen demokratischer Gremien! Mein bisherige Erkenntnis aus 4 Monaten Kommunalpolitik in Barleben: Ich muss  wohl alles noch einmal auf „neue Art“ lernen im Gemeinderat Barleben.

Beispiele meines „Neulernens“:

  • Die konstituierende Sitzung des Gemeinderates wurde abgebrochen, um der Konstituierung des Ortschaftsrates Platz zu machen. In einer außerordentlichen Gemeinderatsitzung mit äußerst kurzer Ladung und Information vorab, wurde dann zu Ende gebracht, was angefangen war.
  • Dann ereilte uns die Haushaltssperre – freiwillig bzw. ordentlich geht kein Cent mehr, aber „außerordentlich“ ging noch sehr viel, so in der 2. außerordentlichen Sitzung, natürlich zum Wohle Barlebens. Ich lernte: Außerordentliche Sitzungen haben keine Vorbereitung durch Ausschusssitzung, nur kurze Tagesordnung und setzen Abgeordnete unter enormen Zeitdruck. Erstaunlich auch, dass kaum noch Ausschusssitzungen stattfinden, da ja kein Gelder da sind, die verteilt werden könnten. Meine Frage: Wäre da nicht Zeit mal „ordentlich“ inhaltsschwer zu diskutieren, z. B. über Kinder- und Jugendarbeit in der Großgemeinde oder über wachsende Straßenverkehrskonflikte, über Fluch und Segen hoch moderner Technologien, die angesiedelt sind oder werden sollen? Und nicht zuletzt, um die Grenzen der Armut in Barleben.

Und noch etwas, was ich lernen muss: Dinge aus nicht öffentlicher Sitzung sind ähnlich streng geheim zu halten, wie das pastorale Beichtgeheimnis!

Die ordentliche Sitzung am 22. Oktober 2009 fiel aus, wie auch alle vorbereitenden Ausschusssitzungen, dafür wurde für den 12. November die nächste außerordentliche Sitzung anberaumt. Meine Termine als Pfarrer, die ja gerade in den Abendstunden unterhalb der Woche stattfinden mit derartigen Sitzungen in Einklang zu bringen, gleicht fast einer Quadratur des Kreises und ich muss fragen, muss das so sein?

Friedensgebete im „heißen“ Herbst in Barleben

Auch in Barleben, Ebendorf und Meitzendorf haben am 9. November um 22:00 Uhr die Glocken geläutet. In Barleben war es das Montagsgebet in Erinnerung an die „friedliche Revolution 1989“. Es ist schon erstaunlich, dass bis auf zwei keiner der frei und demokratisch gewählten Gemeinderäte, trotz persönlicher Einladung  am öffentlichen Gedenken teil nahm. Die Geschichte der Erringung einer freiheitlichen Demokratie auch für die Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR interessiert anscheinend niemanden aus dem Personenkreis derer, die in Barleben die öffentliche Verantwortung tragen.

Sie tragen sie nur, weil vor 20 Jahren auch in Barleben Bürger mutig wagten zu sagen, was sie bedrückte und die auf den Straßen der ehemaligen DDR die eingeklagten Rechte in Anspruch nahmen. Umso erstaunter waren die ca. 35 Barlebenerinnen und Barlebener als sie Auszüge aus dem Ende Januar 1990 von Sanitätsrat Dr. med. Hans-Joachim Linke geschriebenen Rückblick zu den Geschehnissen des Jahres 1989 hörten, den ich nach seinem Willen zum Gedenken verlas.

Stolz können wir darauf sein, dass der Ehrenbürger Barlebens nachweislich auf der größten Demo aller „DDR-Zeiten“ am 4.11.1989 auf dem Alexanderplatz  in Berlin zitiert wurde. Dr. Linke hatte an Stefan Heym geschrieben: „Viele von uns haben ja erst in den letzen Wochen ihre Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang neu zu erlernen.“

Sehr nachdenklich machten uns die Worte aus seinem Konzept für das Bürgerforum am 07.11.1989 im vollen Volkshaus. Zitat: „ Aber es gibt jedoch auf kommunaler Ebene eine Menge Dinge, die nicht in Ordnung sind. Ich bin z. B. froh, dass wir hier im Volkshaus zusammenkommen und nicht im Hause des Rates der Gemeinde. Als ich vor 32 Jahren nach Barleben kam, saßen in dem damaligen schlichten Gemeindebüro der alte Bürgermeister Lehmann, Gerda Piechowiak, Horst und Ursel Fuhr, Walter Meyer und Ernst Eichmann, mehr fallen mir nicht ein. Und dennoch galt Barleben damals als Musterdorf. Was ist in 32 Jahren aus diesem Musterdorf geworden? Und was ist aus der schlichten Amtsstube des alten Herrn Lehmann für ein Regierungspalast geworden? Jedes Mal wenn ich diese von oben bis unten getäfelten Prachträume betrete, wird mir mulmig zu mute. Ich zahle  wie jeder andere Bürger, meine Steuern. Aber was hat eigentlich der Bürger davon, wenn seine Steuergelder für einen derartigen Luxus und einen so uneffektiven Einsatz von Arbeitskräften ausgegeben werden?“

Fast prophetisch?!

In unseren Friedensgebeten spürten wir, wie viel sich schon wieder eingeschlichen hat an Ängsten, an Machtspielen, Ungerechtigkeiten, Vorteilsnahmen und manche gingen wohl still und dachten bei sich, es wäre wohl längst wieder Zeit auf die Straße zu gehen, für mehr Gerechtigkeit, mehr Mitbestimmung und gegen Resignation.

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